Fatma Tunc befindet sich seit acht Monaten in Kapstadt in Südafrika. Die 19-Jährige hat im vergangenen Sommer ihr Abitur an der Elly-Heuss-Schule gemacht und sich anschließend für ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Waisenhaus in Südafrika entschlossen (Spendenkonto unten). Sie schreibt uns aus Kapstadt, wie sich ihr Leben dort gestaltet und was die Zeit mit ihr als Mensch macht:

Fatma Tunc und „ihre“ Kinder: Die 19-Jährige absolviert gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr in „Baphumelele’s Children‘s Home“ in Kapstadt, Südafrika. Eine Einrichtung für Waisen und Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen.
Es war schon immer mein Traum gewesen, irgendwann mal den Kontinent Afrika zu erforschen. Dass ich einen sehr wichtigen Teil schon mit 19 Jahren und so hautnah kennenlernen würde, wäre mir aber nie in den Sinn gekommen. Momentan befinde ich mich im „Baphumelele’s Children‘s Home“ in Kapstadt, Südafrika. Es ist eine Einrichtung für Kinder aus problematischen Familiensituationen und Waisen, in der Altersgruppe von null bis 18 Jahren. Zurzeit befinden sich rund 110 Kinder in unserer Obhut, die entweder zu acht in sogenannten ,,Clustern“ wohnen oder aufgrund der Einnahme von Medikamenten in einem separaten Gebäude untergebracht werden, wo sie eine besondere medizinische Betreuung genießen.
Windeln wechseln
Zu meinen Aufgaben zählen neben der Unterstützung der Arbeitskräfte auch die Planung und Umsetzung eigener Ideen und Initiativen. So beginne ich den Tag zum Beispiel mit den Kleinkindern, wechsle Windeln, füttere sie und verbringe Zeit mit ihnen. Wenn die Kleinkinder ihren Mittagsschlaf halten, kommen die Schulkinder zurück, mit denen ich nach dem Essen entweder Hausaufgaben mache, Einzelgespräche führe (auf Englisch) oder stundenlang verschiedene Spiele ausprobiere. Am Abend befasse ich mich mit Spendenaktionen, der Gestaltung neuer Nachmittagsprogramme, Planung von Ausflügen oder Geburtstagen. Da ich mit vielen Kindern auf demselben Gelände wohne und viele Projekte gleichzeitig laufen, gestaltet sich jeder Tag anders.
Das Waisenheim befindet sich in einem Vorort namens Khayelitsha, das in der Sprache des Volkes Xhosa so viel wie „neues Zuhause“ bedeutet und eines von Südafrikas größten sowie gefährlichsten Townships darstellt. Townships sind zahlreiche Wohnsiedlungen, die während der Rassentrennungspolitik in Südafrika für die schwarze Bevölkerung eingerichtet wurden.
Sicherheitsvorkehrungen und extrem isoliert
Ich hatte mich schon in Deutschland intensiv über den Ort informiert und wusste zwar, dass ich aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen extrem isoliert leben müsste, somit aber die Menschen und ihre unterschiedlichen Perspektiven besser kennenlernen könnte. Ich habe damals nicht ahnen können, wie stark mich die Erfahrungen, die ich hier machen sollte, beeinflussen würden. So klischeehaft das auch klingen mag: Ich habe das Gefühl, in Khayelitsha das erste Mal meine Augen geöffnet zu haben, als würde ich erst jetzt ein klares Bild von der Welt haben, auf der wir alle leben.

Rund 110 Kinder befinden sich in der Einrichtung, in der Fatma Tunc arbeitet. Sie wohnen entweder zu acht in ,,Clustern“ oder in einem Gebäude mit spezieller medizinischer Betreuung.
Die inspirierende Geschichte der südafrikanischen Bevölkerung, die mit Unterdrückung beginnt und Freiheit endet, hat mich schon immer sehr interessiert. Doch war ich nach meiner Einreise etwas verwirrt. Während die Kapstadter Innenstadt Fortschritt und Modernität ausstrahlt, verstand ich, warum das Wort Township heute noch (selbst von den Südafrikanern) verwendet wird: Auch wenn einige Bezirke durch staatliche Projekte komplett erneuert wurden oder es durchaus auch wohlhabendere Gegenden gibt, besteht noch ein Großteil der Häuser aus Aluminiumplatten. Es gibt öffentliche Wasserspender sowie Toiletten, unzählige Stromkabel hängen an Masten wie Lichterketten, das Heulen der Polizeisirenen begleitet einen den ganzen Tag.
Zwischen Arm und Reich
Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist noch immer gigantisch. Und doch fehlt es den Menschen scheinbar an nichts. In Khayelitsha singt man mehr, als man redet, es läuft die ganze Zeit über laute Musik, die Menschen sind heiter und Gelächter füllt die Straßen. Vor allem überraschten mich die Kinder, die vielleicht nichts Materielles besitzen – ihnen fehlt es an allem, sei es Kleidung, Nahrung oder Spielzeug. Und doch strotzen sie nur so vor Kreativität und Lebensfreude.
Jedes Mal, wenn mir meine Kinder aus dem Heim ein selbst gebasteltes Spielzeug bringen, wenn ich sehe, wie sie sich Schuhe aus Papier und Draht machen oder Kleidungsstücke zerschneiden, um wie die Ninja Turtles aus dem gleichnamigen Film auszusehen – jedes Mal aufs Neue überraschen sie mich, und ich bin so gerührt und stolz wie eine Mutter. Ich hätte nie gedacht, dass ich es so sehr lieben würde, für die Kinder zu sorgen, sie zum Lachen zu bringen oder weniger Lebensmittel verbrauchen könnte, um etwas Geld für einen Ausflug oder einen Schulranzen zusammenzukriegen.
Auch mit zerrissenen Kleidern glücklich
Ich hätte nie geglaubt, dass mich Kinder so sehr verändern würden. Sie haben mir beigebracht, mich wie ein Kind zu freuen, gleichzeitig aber mit Verantwortung wie ein Erwachsener umzugehen. Sie haben mir gezeigt, dass man auch mit zerrissenen Kleidern glücklich sein kann, trockenes Brot zum Frühstück reicht, solange das Wetter zum Spielen schön ist.
Früher war es mein Traum, Südafrika zu erkunden. Heute besteht nur noch der Wunsch, meine Kinder aufwachsen und ihren eigenen Träumen nachlaufen sehen zu können.
Text & Fotos: Fatma Tunc
Infos und Spenden:
Fatma Tunc nimmt an einem Freiwilligendienst von „weltwärts“ im Baphumelele’s Children Home in Khayelitsha, Südafrika, teil. Das Programm wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert, dennoch werden Spenden gebraucht. Organisator: „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“. Homepage mit Infos zum Spenden: www.baphumelele.org.za, E-Mail: sponsorship@baphumelele.org.za. Wer will, kann sich auch persönlich bei Fatma Tunc via E-Mail informieren: tunc.zhra@gmail.com.
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