Zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen, kann einiges komplizierter machen. Das zeigt auch das Beispiel Ümit Kiziler aus dem Westend. Ümit hat kurdisch-türkische Wurzeln und ist deutscher Staatsbürger.
„Ich versuche ganz bewusst, mich als Deutscher zu fühlen. Aber irgendwie fühle ich mich schon auch als kurdischer Türke“, sagt der Fachabiturient. „Dass sich das komisch anhört, weiß ich selbst“, sagt er lächelnd, „aber so es ist nun mal.“ Am liebsten wäre es Ümit, wenn er Doppelstaatler, also gleichzeitig deutscher und türkischer Staatsbürger sein dürfte.
Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein Thema, das hierzulande schon viele Diskussionen ausgelöst hat. Momentan beraten darüber auch die Parteien CDU und SPD in den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl. Die CDU will, dass es bei der sogenannten „Optionspflicht“ bleibt, also dass hier geborene Kinder sich bis zum 23. Lebensjahr für einen Pass entscheiden (siehe Infokasten rechts). Die SPD will diese Regelung abschaffen und einen Doppelpass erlauben. „Wenn ich beide Pässe haben könnte, würde das am besten zu mir passen: Denn ich fühle mich beiden Ländern zugehörig“, sagt Ümit.
Seit dem Jahr 2000 im Westend
Der 17-Jährige ist in Kassel geboren, seit 2000 lebt er mit seinen Eltern und fünf Geschwistern im Westend. Seit 2010 ist er deutscher Staatsbürger – mit „vorübergehender Hinnahme der Mehrstaatigkeit“, wie es offiziell heißt. Sein türkischer Pass ist zwar nicht mehr gültig, aber vollständig kann er nach türkischem Recht erst mit 18 Jahren aus der türkischen Staatsangehörigkeit austreten. „Schade, dass ich das tun muss“, bedauert Ümit.
Seine Eltern besitzen den türkischen Ausweis. „Ich habe nie Probleme mit meinem türkischen Pass gehabt. Auch wenn ich seit 33 Jahren hier lebe und Deutschland mittlerweile meine Heimat ist, werde ich ihn behalten“, sagt der Vater. Ümits Schwester Lüdya (18) hingegen ist Deutsche: „Ich habe schon die deutsche Mentalität angenommen. Ich werde hier bleiben, deshalb ist der deutsche Pass das Richtige für mich.“
Ümit und seine Geschwister sind in Homburg (Efze) in einem deutschen Umfeld aufgewachsen. Aber seitdem sie in Wiesbaden wohnen, haben sie eher Migranten als Freunde. „Das liegt vielleicht daran, dass sie ähnliche Verhältnisse zu Hause haben. Und dass hier mehr Migranten leben“, sagt Ümit. Doch wenn sie auf Deutschland schimpfen, greift er ein: „Wenn’s ihnen hier nicht gefällt, können sie ja auswandern.“
Bei Fußball-Länderspielen feuert Ümit „selbstverständlich“ die deutsche Nationalmannschaft an. „Nur nicht, wenn sie gegen die Türkei spielt“, fügt er schmunzelnd hinzu. Also doch eher Türke? „Das sind meine Wurzeln. Wenn ich zu Hause bin, ist es wie in der Türkei. Wenn ich rausgehe, fängt Deutschland an.“
Zukunft in Deutschland
In Deutschland sieht Ümit auch seine Zukunft. „Wahrscheinlich lasse ich mich nach der Schule zum Polizisten ausbilden“, sagt er. Und wenn er 18 Jahre alt wird, freut er sich, „mitzuentscheiden, wer das Land regiert“. Die Wahl würde auf eine Partei fallen, die seine Lebensrealität „ernst nimmt“ – und beide Pässe erlaubt.
PRO TÜRKEI
Die Hilfsbereitschaft unter den Türken ist größer, sagt Ümit. „Meine Lehrerin hat das auch schon mal gesagt: Wenn irgendwas auf der Straße passiert, sind es eher die Migranten, die zur Hilfe eilen.“
Respekt vor Älteren: „Das ist bei Türken ganz klar anders als bei Deutschen. Der Respekt vor den Älteren ist sehr wichtig in der türkischen Kultur. Deshalb küssen wir zum Beispiel auch die Hand der Älteren.“
Das Urlaubsland: „Ich mache sechs Wochen im Jahr Urlaub in der Türkei. Die Türkei hat alles zu bieten, was man sich vorstellen kann.“
Das Essen: „Zuhause essen wir nur türkisch. Es schmeckt mir am besten.“
Der Zusammenhalt: „Unter den Türken ist er irgendwie stärker. Auch bei Menschen, die man nicht so gut kennt.“
Die Gastfreundlichkeit: „Das ist schon sehr viel ausgeprägter bei Türken, dafür ist die Türkei bekannt. Das macht das Land und die Türken auch für mich sympathischer.“
PRO DEUTSCHLAND
Ümit meint, dass man als Bürger in Deutschland das Gefühl hat, mehr Gerechtigkeit zu erfahren. „Das zeigt sich in vielen Bereichen, von Schule bis zum Staat.“
Disziplin und Ordnung: „Dafür ist Deutschland bekannt. Weil ich das gewohnt bin, fällt es mir schwer, wenn ich in der Türkei bin, und zum Beispiel die Pünktlichkeit nicht ernst genommen wird. Auch spiele ich absichtlich in einem deutschen Verein Fußball, weil dort mehr Disziplin herrscht.“
Fremder in der Türkei: „Klar werde ich wegen meines Aussehens wohl nie ganz als Deutscher akzeptiert. Aber in der Türkei bin ich auch nur der ‚Deutschländer‘, das lassen sie einen schon spüren.“
Meinungsfreiheit: „Ein Pluspunkt für Deutschland. Denn in der Türkei kann man, wie ich finde, seine Meinung immer noch nicht so frei äußern wie hier.“
Ausbildung und berufliche Chancen: „In Deutschland werden die Bürger top ausgebildet. Außerdem hat man hier unglaublich viele Chancen, vor allem wenn man auch deutscher Staatsbürger ist.“
Heimat: „Hier und in ganz Deutschland wohnen meine Familie, Verwandte und Freunde. Deshalb lebe ich gerne im Westend.“
Die „Optionspflicht“
Kinder ausländischer Eltern in Deutschland erhalten seit 2000 mit der Geburt auch die deutsche Staatsangehörigkeit und müssen sich zwischen dem 18. bis 23. Lebensjahr für eine entscheiden. Treten sie nicht rechtzeitig aus der ausländischen Staatsangehörigkeit aus, verlieren sie ihre deutsche. Kinder ausländischer Eltern, die zwischen 1990 und 2000 geboren wurden, konnten durch eine Übergangsregelung bis Ende 2000 neben der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Vor allem viele junge Türken in Deutschland sind von der Optionspflicht betroffen. Bürger der EU, Schweiz oder Spätaussiedler können bei Einbürgerung ihren alten Pass behalten.
Text & Fotos: Erdal Aslan
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